IV. Herkünfte

Was wir hier im Folgenden „Kunstschmerztherapie“ nennen werden ist ein Zusammengesetztes. Es ist eben die auf Schmerzphänomene angewandte Vermischung von autonomem künstlerischem Handeln mit theoretischer Struktur, von der eben die Rede war. Sie bedarf vorerst keiner weiteren Einengung, kann aber auf vier verschiedene Zonen zurückgeführt werden. Deren erste ist die der psychotherapeutischen Theorien, von denen schon die Rede war. Sie beziehen das, was sie jeweils für künstlerisch erachten, nach Bedarf ein und ordnen dabei das kreative Geschehen in der Regel einem theoretischen Konzept unter, welches dann – wie etwa in der Psychoanalyse – Deutungshoheit verleiht.

Die zweite Herkunft ist die aus der Zone der Kunst selbst. Zwar bestehen viele Vorbehalte gegen Kunstschaffende als Therapierende, die auch teils berechtigt sein mögen. Doch ist die Analyse der Bedeutungen, die Schmerz im Werk Kunstschaffender bekommt, eine unschätzbare Quelle zur Erforschung künstlerischer Möglichkeiten der Schmerzbewältigung. Insbesondere sind die Effekte interessant, die KünstlerInnen im Umgang mit eigenem Schmerz durch das Gestalten verspürten. Und neben einer Betrachtung des Schmerzes im Werk verstorbener, bedeutender MalerInnen und BildhauerInnen bietet hier auch das Interview mit zeitgenössischen Kreativen eine Chance, zu neuen, therapeutisch verwendbaren Erkenntnissen zu gelangen.

Die dritte Weise, Zugang zum Verhältnis von Kunst und Therapie bei Schmerz zu gewinnen, befragt die PatientInnen selbst. Ziel der Kunst kann es sein, den momentan in einer Therapie sich aktualisiernden Bedürfnissen eine adäquate künstlerische Befriedigungsmöglichkeit zu eröffenen. „Was braucht er oder sie jetzt?“ ist die Leitfrage. Diese Indikationen für verschiedene kunsttherapeutische Schritte zu sammeln brächte Erkenntnisse, die gewiß das überträfen, was gegenwärtig durch die Übertragung psychotherapeutischer Modelle geleistet wird. (Eine Sammlung von Schmerztherapieprozessen, in denen künstlerische Tätigkeit wirksam war, würde natürlich ständig anwachsen und vielleicht ausufern. Sie böte aber die Chance, auf die Kunsttherapie gerichtete Bedürfnisse von SchmerzpatientInnen, wie etwa die Bedürfnisse nach Ausdruck, nach Abreaktion, nach Selbsterkundung oder -kommunikation zu bündeln und so aus der individuellen Arbeit Angebote für eine allgemeine künstlerische Schmerztherapie zu bilden.)

Schließlich sind auf einem vierten Weg, Erkenntnisse zur künstlerisch inspirierten Therapie des Schmerzes zu gewinnen, die Kunsttheorie und Kunstpsychologie im Verein mit der Neurophysiologie bedeutsam, die womöglich aufzeigen können, wie ein Gestaltungsprozeß zurückwirkt auf Gestalterin oder Gestalter. Welche Form der Gestaltung was mit einem Schmerz bewirken kann, dies wäre die Frage, zu der die Disziplinen ihre Daten beitrügen und somit, gerade im Gegensatz zu den völlig am Individuum orientierten Techniken, allgemein gangbare Wege zur Kunsttherapie des Schmerzes eröffneten oder, im Fall der Neurophysiologie, deren Möglichkeiten abschätzten.

Somit gäbe es also vier Wege, Bausteine zur Bildung des Kunstschmerztherapie-Gebäudes zu gewinnen: Psychotherapeutische Theorie, das Schaffen und Erleben von KünstlerInnen im Bezug auf Schmerz, Zustands- und Bedürfnisbeschreibungen von Patientinnen und Patienten, sowie Erkenntnisse aus Kunsttheorie, Kunstpsychologie und Neurophysiologie. Es versteht sich, dass dieser Text alle Quellen nur streifen kann, sind sie doch, wie die PatientInnen-Datei, teils erst als Vision existent. Doch ergibt womöglich bereits das Berühren der angesprochenen Punkte genug Impuls, um von der Kunstschmerztherapie des Schmerzes, so wie sie sein könnte, eine Ahnung zu kriegen.

Kategorien: Studien