III. Kunsttherapie

Der Begriff der Kunsttherapie umfaßt gegenwärtig ein kleines, dem medizinisch-psychotherapeutischen Kontinent anhängendes Gebiet, auf welches von verschiedenen Seiten her begehrliche Blicke geworfen werden. Da dies für die Kunsttherapie als ernstzunehmender Therapie das „Aus“ bedeuten würde und andererseits die Einverleibung der Kunst in Therapie-Systeme ihre kreativen Möglichkeiten beschneidet, möchte ich hier betonen, daß es für die meisten HypnotherapeutInnen nicht darum gehen kann, gleichzeitig KunsttherapeutInnen zu werden. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil hierzu ein handwerklich-praktischer Hintergrund notwendig ist. HypnotherapeutInnen können freilich insoweit Kunst in ihre Arbeit integrieren, als sie, die Kunst, mit Trance in Verbindung steht. Zudem sind viele Prozesse in Trance lebbar, die nicht sinnlich-faßbar umgesetzt werden müssen. Hier liegen die hauptsächlichen Anregungen, die für die Hypnotherapie des Schmerzes Bedeutung haben.

Es macht beim gegenwärtigen Stand der Kunsttherapie keinen Sinn, sie als etwas Einheitliches anzusehen, ist sie doch gegenwärtig noch eine auf der Grundlage psychotherapeutischer Systeme sehr verschieden aufgefaßte Therapie. Auch ist sehr fraglich, ob eine Vereinheitlichung der weitgestreuten Verfahren sinnvoll ist, oder nicht. Wir werden daher den Begriff „Kunsttherapie“ hier im folgenden vermeiden und eher von der Verwendung von künstlerischen Verfahren mit dem Ziel eines – wie auch immer gearteten – Heilprozesses sprechen.

Indikationen zum Einbeziehen künstlerischer Verfahren in die Therapie von Schmerzkranken gibt es viele, doch ist der Stellenwert, den man ihr beimisst, unterschiedlich. Was in der kreativen Arbeit geschieht hängt, ähnlich wie in der Körpertherapie, davon ab, wieviel therapeutisches Potential BehandlerInnen einem Prozeß zutrauen, der nicht rational geleitet, weitgehend eigener Dynamik unterworfen und periodisch nur wenig transparent ist.

Künstlerische Beeinflussung von Schmerz ist im Vergleich zu anderen Verfahren der psychologischen Schmerztherapie schwierig zu diskutieren. Dies liegt einerseits daran, daß zwischen Kunst- und Beschäftigungstherapie oft keine klare Grenze gezogen wird, so dass die Funktion des kreativen Tuns nicht klar bestimmbar ist. Das Dilemma ergibt sich aber auch daraus, daß Kunsttherapie über keine eigenen Ansätze verfügt, aus deren Rahmen heraus der Schmerz „gelesen“ werden kann.

Um der Begriffverwirrung weiter zu begegnen möchte ich festlegen, daß ich den Begriff „künstlerisch“ einerseits weit fassen und als jegliche kreative Tätigkeit ansehen möchte, welche nicht (wie etwa Kochen) zugleich anderen Zwecken (nämlich in diesem Fall der Ernährung) dient. Auf der anderen Seite will ich ihn einengen, indem ich ihn als einen Prozess definiere, in den sowohl ein handwerklicher, als auch ein geistig- seelischer Prozeß eingehen. Malen und Zeichnen, Collagieren, Bildhauern, Performances und Aktionskunst zähle ich dazu, außerdem bei einer großzügigen Fassung das Begriffs „Handwerk“ auch Filmen und Fotographie.

Verrichtungen wie Seilen, Töpfern oder Körbeflechten, bei denen es möglich ist, sich auf die handwerkliche Seite zu beschränken, sind nach diesem Verständnis hingegen keine Kunst. Rein konzeptuelle Ansätze, bei denen vom Künstler „nur“ eine Idee geliefert wird, die andere dann ausführen, bewirkt einerseits eine Ent-Sinnlichung, andererseits durch das Delegationsprinzip eine Entfremdung vom Produkt, was den therapeutischen Nutzen fragwürdig macht.

Schwieriger als eine Begriffdefinition ist es, dem weitgehenden Mangel an Theorie zu begegnen. Letzten Endes läßt sich jede künstlerische Äußerung als Versuch zur Selbsttherapie begreifen, und die Erkenntnis dieses Zusammenhangs hat uns dahin geführt, im Kunstwerk gelegentlich nur noch diesen Faktor wahrzunehmen. Picasso hat dann dieses Bild gemalt, um eine Enttäuschung zu verarbeiten, Nam June Paik jene Aktion durchgeführt, um einen Verlust zu bewältigen. Dergleichen Interpretationen greifen kurz, wie man schon daran sehen kann, dass nicht jeder traumatisierte Künstler tätig wird, ja, manche sogar unterm Eindruck des Schockereignisses ihre Kreativität einzubüßen scheinen. Da zudem die wohlfeile Theorie, wonach der Künstler leiden müsse, andere perverse nach sich zieht (wie etwa die von einigen Autoren geäußerte, eine Diktatur sei der Dichtung prinzipiell günstig, da sie den Widerstand des Wortes herausfordere und die geknechteten Massen zum Lesen treibe), ist die Gefahr einer Banalisierung zu groß, um der These von Kunst um der Bewältigung von Lebensereignissen willen weiter zu verfolgen.

Gleichwohl kann Kunst natürlich heilen. Allerdings haben Künstler in aller Regel nicht die Frage zu beantworten gesucht, wie. Die Tatsache, daß sie nun keine spezifische Theorie über sich selbst hat, setzt die Kunst und die Kunsttherapie in den Schatten der „großen“ Therapieverfahren wie Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse. Kunsttherapie wird hier dann entweder Gegenstand von Forschung oder aber als Mittel der jeweils übergeordneten Therapieform lediglich dazu benutzt, diesen oder jenen Prozeß zu initiieren oder zu steigern.

Eine an psychotherapeutischen Schulen orientierte Kunsttherapie wird die besonderen Chancen, die künstlerisches Gestalten für die Schmerztherapie bietet, nur begrenzt nutzen können. Vielmehr kommt es darauf an, neuartige und in diesem Sinne eigenständige künstlerische Möglichkeiten zu finden, mit denen dem Schmerz begegnet werden kann. Diese können später entweder die Basis für ein Konzept zur Schmerzbehandlung ergeben. Vielleicht leisten sie ihren Beitrag zu einem allgemeinen, neuartigen Schmerztherapiekonzept, das nicht auf einem (im gewöhnlichen Sinn des Wortes) psychotherapeutischen Ansatz fusst.

Um die Anregungen umfassend besprechen zu können, die von bildender Kunst für eine Hypnotherapie des Schmerzes ausgehen können, möchte ich Kunst als eine Möglichkeit der Selbsttherapie ansehen, die ihrem Wesen nach autonom ist. Therapie, die sich der Kunst bedient, ist demnach auch mehr, als bloß kreatives Anhängsel bestehender Psychotherapiemodelle. Wo diese strukturiert sind nach theoretischen Maßgaben, da ist jene frei und individuell. Dennoch lohnt es sich natürlich, bei der Betrachtung von Kunst-Schmerz-Trancen auch die Rolle zu untersuchen, die künstlerische Verfahren in arrivierten Therapiemodellen spielen. Hierin kann vielleicht sogar – wenn man bei künstlerischer Therapie von mehrfacher Abstammung ausgehen will – die primäre Herkunft künstlerischer Verfahren in der Therapie des Schmerzes erblicken.

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