I. Vorüberlegungen zur Therapie Schizophrener mit psychologischen Mitteln

Die nachfolgenden Überlegungen zur Schizophrenie-Behandlung sind Teile eines fortlaufenden Forschungsprojekts mit dem Titel „Schizophrene Trancen“. Bis vor einigen Jahren wäre dies Projekt noch nicht möglich gewesen, denn es galt lange Zeit als ein Kunstfehler, mit Schizophrenen trancetherapeutisch zu arbeiten. Insofern – und weil die Angaben über hypnotherapeutische Arbeit mit schizophren Erkrankten so sparsam gesät sind – ist jeder Therapieschritt in dieser Richtung gegenwärtig noch eine Mischung aus Selbst- und Fremdversuch – warum er auch ein Selbstversuch ist, das zu erläutern ist ein kleiner Umweg erforderlich, in dem ich zunächst knapp auf den Begriff der Schizophrenie und dann auf das Potential der Schizophrenie eingehen möchte.

Zunächst also zum Schizophrenie-Begriff. Vor einigen Tagen noch las ich einen „Spiegel“-Artikel, dessen Untertitel lautete: „Israels schizophrenes Verhältnis zum deutschen Fußball“ (vgl. Zimmermann 1997). Anstatt des Begriffs „schizophren“ hätte hier wohl eher „gespalten“ oder „paradox“ stehen sollen, denn es ging in dem Artikel darum, daß Bürger Israels am Ergehen der deutschen Nationalmannschaft zwar regen Anteil nehmen, dies jedoch mit feindseliger Grundhaltung. Falsche Verwendungen wie diese haben dazu geführt, daß, wie Finzen (1996) untersuchte, der Begriff der „Schizophrenie“ verzerrt worden ist und kaum noch das evoziert, was mit ihm eigentlich gemeint ist.

Liebe Leserin, lieber Leser – wie Sie wissen, sind die Definitionen der Schizophrenie – oder der Schizophrenien, wie manche sagen – recht unterschiedlich. Ich möchte sie nicht alle aufführen, aber doch kurz auf die Definitionsproblematik zu sprechen kommen. Die im amerikanischen Sprachraum gebräuchlichen Schizophreniedefinitionen sind recht weit gefaßt, die aus England stammenden eher eng. Entsprechend „gibt es“ in Amerika bedeutend mehr Schizophrene als in Großbritannien. Psychologen scheinen eher dazu tendieren, die Diagnose „Schizophrenie“ zu vermeiden, während Psychiater sie häufiger anwenden. Könnte man ersteren böswilligerweise eine gewisse Furcht vor der Schizophrenie ankreiden, so letzteren ein gewisses Vergnügen an ihr. Ich habe selber mit diversen Patienten gearbeitet, welche in Kliniken als schizophren diagnostiziert worden waren, und ich habe dabei oft an das Experiment von David Rosenhan (1973) denken müssen, welcher experimentell nachwies, daß die Diagnose „Schizophrenie“ oft aufgrund winziger Befunde, die durchaus im normalen Spektrum liegen, gestellt wird. Aber meinen Informationen zufolge ist Rosenhan Psychologe, und wer weiß, ob das Experiment unter Leitung einer Psychiaterin nicht anders ausgegangen wäre…

Radikal formulierte Scharfetter (1982): „Die Schizophrenie gibt es nicht und die Schizophrenien auch nicht; aber es gibt Menschen mit bestimmten Erlebnissen, deren Ursprung wir erkennen – oder zumindest ahnen – können, wenn wir das rechte Hinhören und -schauen in uns selbst geschult haben; Menschen, die sich im Zusammenhang mit diesen Erlebnissen in besonderer Weise verhalten.“ (S. 55). Soviel diese Position für sich hat, soviel läßt sich gegen sie einwenden. Nimmt es uns als aufs Individuelle blickende HypnotherapeutInnen für sie ein, daß der Autor – zum Zeitpunkt der Niederschrift des zitierten Textes bereits Professor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich – die Einzelperson fern allen Definierens im Auge hat, so können wir doch einige gemeinsame Merkmale Schizophrener auch nicht völlig leugnen.

Besonders überzeugend erscheinen auch heute noch die Annäherungen, die Eugen Bleuler, um die Jahrhundertwende herum der Chef des berühmten „Burghölzli“, an die Schizophrenie versucht hat (vgl. Bleuler 1911). Seine Arbeit wurde nach Bleulers Tod von seinem Sohn Manfred Bleuler fortgesetzt. Die Modellbildungen beider kreisten vor allem immerfort um ein Kernmerkmal, welches er bei allen Patientinnen und Patienten, die er für schizophren erachtet hatte, ausgemacht hatte. Dabei handelt es sich um eine Lockerung der Verbindung von sonst integrierten Funktionen wie Denken, Imaginieren, Sprechen, Zählen, Symbolbildung, etc. Normalerweise sind diese Funktionen wie die Teile eines gut gebauten Gerüsts miteinander „verschraubt“ und „vernietet“. Das macht, daß, um im Bild zu bleiben, das Gerüst fest und sicher begehbar ist. Stellt man sich jedoch vor, alle Schrauben, Plomben und Nieten seien ein wenig loser als gewöhnlich, einige vielleicht sogar schon ganz herabgefallen, so sieht die Sache anders aus. Auf Schritt und Tritt wackelt und schwankt das Gerüst, es dengelt und kracht beim Gehen, und wenn nun womöglich aufgrund der gelösten Verbindungen ein Brett aus der Verankerung springt, so wird es gefährlich.

Zweifellos gibt es nicht viele, die gern auf lockeren Gerüsten herumspazieren – nein, viele nicht, aber es gibt sie. Denn was den Normalmenschen erschreckt und ihm als furchtbare Bedrohung erscheint, das ist für andere ein wildes Spiel mit dem Feuer oder ein herausfordernder Tanz auf dem Vulkan. Nicht alle Schizophrenen sind unglücklich; manche, im Gegenteil, wirken zufriedener als der verstörte Normalmensch. Hier kann man an Deleuze und Guattari denken, welche 1974 schrieben: „Das Umherschweifen des Schizophrenen gibt gewiß ein besseres Vorbild ab als der auf der Couch hingestreckte Neurotiker.“ (S. 7). Dennoch haben „Schizos“, wie Deleuze und Guattari sie nennen, natürlich eine Menge Schwierigkeiten, insofern sie gesellschaftlich abgekoppelt sind, oft genug schon am Einkaufen scheitern, Fürsorge brauchen. Waren wir zu anderen Zeiten möglicherweise bereiter, Kranke auch auf ihre Weise zugrundegehen zu lassen, so versuchen wir heute, Verantwortung für sie zu übernehmen. Die Folgen der Öffnung der Psychiatrien in Italien und später auch (teilweise) in Deutschland, haben uns gezeigt, daß viele Familien damit überfordert waren, schizophrene Angehörige zu versorgen.

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